Frei sein

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„Geschöpf nicht mehr, Gebieter der Gedanken,
des Willens Herr, nicht mehr in Willens Frone,
der flutenden Empfindung Maß und Meister,
zu tief, um an Verneinung zu erkranken,
zu frei, als daß Verstocktheit in ihm wohne:
So bindet sich ein Mensch ans Reich der Geister:
So findet er den Pfad zum Thron der Throne.“
(Christian Morgenstern, geb 6. Mai 1871)

Gerade jetzt im Mai drängt alles in uns nach draussen in die Natur, sehnt sich nach Bewegung und nach echter Begegnung. Und doch sind da so viele Beschränkungen, die drohen zu zermürben.

Dichtung, Malerei und Musik sind genau jetzt hervorragend geeignet, Raum zu geben für Zuversicht und Vertrauen in sich selbst und in die Mitmenschen. Christian Morgenstern beschreibt so schön, dass wir selbst über unsere Gedanken bestimmen, unsere Lust und Sehnsüchte lenken können und unseren überschäumenden Gefühlen nicht ausgeliefert sind. Wir können das Maß für uns finden, ohne zu verhärten. Das bedarf ständiger Übung und Achtsamkeit.

Auf die Musik angewandt bedeutet das für Dich: Du kannst entscheiden, ob Du im Spiel an bestimmte Schemata denken und Dich an ihnen ausrichten möchtest. Oder ob Dich dafür entscheidest, diese Gedanken fallen zu lassen, um ohne Beschränkung und strenges Regelwerk aus dem Sein heraus zu spielen. Dich einzulassen auf das Geschehen der Klänge. Deine Gefühle wahrzunehmen, ohne Dich von ihnen forttreiben zu lassen. Wertungen oder gar Abwertungen keinen Raum zu geben.

Auf diese Weise dient Dir die Musik wunderbar als Kanal, um wirklich bei Dir anzukommen, Ruhe zu finden, durchzuatmen. Dich zu befreien von zermürbenden Gedanken und belastenden Beschränkungen. Dafür neue Kraft zu schöpfen.

Frei sein im Spiel. Und dann erkennst Du, Du bist frei durch das Spiel am Klavier.