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Vom Zauber, Märchen zu erzählen und Klavierspiel zu lernen

Rotkäppchen und das Klavierspiel. Nein, das war anders. Der „richtige“ Titel des Märchens und sein Inhalt sind sicher in Deiner Erinnerung gespeichert. Oder welches war Dein Lieblingsmärchen? Wie kommt es zu dieser Verankerung? In einer vertrauensvollen Atmosphäre haben wir das Märchen gehört. Vater oder Mutter haben das Märchen abends vorgelesen. Wir haben die Nähe und Zuwendung unserer Eltern gespürt und uns geborgen gefühlt. Wir hörten eine uns vertraute Stimme. Wir entwickelten Vorlieben für bestimmte Märchen. Wir freuten uns, wenn diese immer und immer wieder vorgelesen wurden. Wir kannten die Bilder und den Text bald in und auswendig. Trotzdem war es jedes Mal ein Genuß, wenn wir sie vorgelesen bekamen.

Und was geschah nebenbei? Wir schauten ins Buch. Wir waren versanken in der Geschichte, höchst konzentriert. Wir betrachteten die Bilder im Details. Entdeckten immer wieder Neues. Wir schauten auf die Zeichen, die Buchstaben. Wir waren neugierig und wollten auch lesen können wie unsere Vorbilder.

Erst hören, dann sprechen, dann lesen und schreiben. Eine natürlich Reihenfolge.

Könnte dieses Konzept, Sprache zu lernen, auf das Klavierspiel übertragen werden?
Eine rhetorische Frage. Sie öffnet einen neuen Raum.
Ein Blick in das Musiklehrsystem zeigt, wie der klassische Klavierunterricht startet: Mit Theorie! Statt mit Praxis. Wie sitze ich richtig am Klavier? Wie halte ich die Hände? Wie hoch muss der Stuhl sein? Wie heissen die Tasten. Wie heissen die Töne und Noten? Was sind Noten? Notenwerte, Notenschlüssel, Pausenzeichen, Taktarten, …. Und der Mensch ist im Kopf.

Mein Plädoyer: Starte mit der Praxis statt mit Theorie

Mich beschäftigen Fragen wie: Müssen wir Musik zu Beginn lehren? Ist Musizieren etwas künstliches, sprich unnatürliches? Sind die Konzepte, an die Musik heranzuführen, wirklich ausgereift? Sind praktische Erfahrungen, Hörerfahrungen nicht wesentlich effektiver im Vorfeld als Grundlage für eine bewusste Begegnung und Leben mit Musik?

Mein Focus: Erlebe, was Musik in Dir auslöst:
Freude, Stärke, Mut, Zuversicht, Trauer, Schmerz, Angst, Hoffnungslosigkeit.

 

Wie öffnet sich die Tür zur Musik, die in jedem Menschen schlummert?

Dazu spanne ich einen Bogen zu den Studien von  Prof. Dr. Daniela Sammler und ihrem Team. Ihre Erkenntnisse hier konzentrieren sich ausschließlich darauf, was bei einem einzelnen Musikern passiert, der sein Instrument spielt. Entscheidend für den Menschen, der Klavier spielt, einfach für sich. Sammler forscht am Max Planck Institut für empirische Ästhetik.  Der Artikel  „Neurowissenschaften | Musik im Kopf“, Ausgabe 01| 2022 Max Planck Forschung von Stefanie Reinberger fasst diese Erkenntnisse zusammen. Ich verwebe meine Gedanken mit diesen Ausführungen. Du findest den Artikel hier: https://www.mpg.de/18499783/MPF_2022_1.pdf.

Fest steht: Das menschliche Gehirn, ist dafür geschaffen, Musik zu produzieren.

„Musik ist eine urmenschliche Fähigkeit. In unserem Kopf genetisch verankert. Genau wie die Sprache, eine universelle Eigenschaft des Menschen. Das menschliche Gehirn ist dafür geschaffen, Musik sowohl zu genießen als auch zu produzieren.“ Der letzte Satz ist von weitreichender Bedeutung und es Wert, ihn auf der Zunge zergehen zu lassen: Das menschliche Gehirn ist dafür geschafft, Musik zu produzieren, zu erschaffen.

Die Wissenschaft bestätigt meine Überzeugung, Musik und Kreativität sind natürlichen Ursprungs und ein Teil eines jeden Menschen von Geburt an.

Deshalb sprenge ich die übliche Vorgehensweise, Klavierspielen zu lernen. Diese ist darauf ausgelegt, eine solide Technik zu erzielen und ein hohes Spielniveau zu ermöglichen. Mein Weg, den ich anbiete, führt weg vom Focus zur Perfektion hin zur Freude am Spiel. Diese und das Erleben an sich in den Mittelpunkt des Instrumentalunterrichtes zu rücken, empfiehlt auch Prof. Mihaly Csikszentmihalyi (Flow: Das Geheimnis des Glücks)

 

Der Mensch spürt den guten Klang

Sammler stellte sich mit ihren Kollegen am Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig Stefan Kölsch und Angela Friederici darüber hinaus die Frage: Wie nehmen wir Harmonie und Disharmonie wahr? Sie fanden heraus: Es gibt Harmoniefolgen, die unserem Gehirn stimmig erscheinen – und andere nicht. Mit ihren Experimenten zeigten sie, dass das Gehirn auf Regelverstöße mit veränderter Aktivität reagiert. „Die Hirnantwort bei Disharmonien ist vergleichbar mit der Antwort bei grammatikalischen Fehlern in der Sprache“, so Sammler. Musik folgt also bestimmten Regeln, ähnlich einer Art Grammatik. Das zeigt sich auch beim Musikhören:

Der Mensch hat die musikalischen Regeln seines kulturellen Umfelds verinnerlicht und wendet sie beim Musikhören intuitiv an.

Das heisst, dass der Mensch vielseitige bewusste Erfahrungen mit der Musik gemacht hat. Er hat sie erlebt. Er hat verschiedene Musikrichtungen gehört und konnte eine Vorliebe entwicklen. Er hat Musik nicht ausschließlich als Hintergrunduntermalung unbewusst gehört. Hier kann jeder in jedem Alter ansetzen: Musik hören. Sonst nichts. Sie spüren. Ihr folgen. Daraus ergibt sich ein natürliches Gespür für Ästhetik, Schönheit im Klang oder der Melodie.
Der Mensch spürt intuitiv, was für ihn stimmig ist und was nicht.

Musik hören. Bewusste Hörerfahrungen sammeln sind eine wesentliche Voraussetzung zum Musizieren.

 

Beim Klavierspielen wirken Körper und Geist zusammen.

Das Hören ist nur eine Seite der Medaille, stellt Sammler fest. Die andere Seite ist das Machen. Erst dadurch entsteht Musik: Singe, trommle oder greife in die Taste eines Klavieres. Die Forscherin fragt sich, ob Menschen, die täglich Musik produzieren, ebenfalls dem Regelwerk des Musikhörens folgen? Haben sie die musikalischen Regeln ihres kulturellen Umfelds verinnerlicht und wenden sie diese beim Musik machen intuitiv an wie beim Musikhören? Die Antwort ist etwas länger, wartet dafür mit spannenden Zusammenhängen auf und lässt neue Rückschlüsse für die Praxis zu. Sammler entdeckt: Zwei Komponenten treffen beim Musizieren zeitgleich aufeinander: „Was“ und „Wie“. Zwei Ebenen: Geist und Körper.

Idee und Handlung

Eine musikalische Idee – also die Vorstellung davon, wie Musik klingen soll und welche Harmonie wir als stimmig empfinden.
Eine Handlung, um diese Idee mithilfe einer Bewegung umzusetzen – etwa einen Finger auf einer Klaviertaste setzen.

Kognition und Motorik

Beim Musizieren treffen sich Kognition und Motorik und beeinflussen einander wechselseitig. Das entspricht der viel beachteten These des Embodiment. Die besagt, dass Körper und Geist zusammen wirken. Motorische Vorgänge sind demnach nicht allein das Ergebnis kognitiver Prozesse. Die Motorik unterstützt auch die Kognition. Denke nur daran, wie Kinder zählen lernen. Sie benutzen dazu ihre Finger. Pianisten realisieren die musikalische Idee durch die Position der Finger auf der Tastatur und das Anspielen der Tasten. Die Bewegung folgt der Idee. Umgekehrt verstärkt die motorische Ausführung die musikalische Idee, also die Vorstellung davon, wie es „richtig“ klingt. Offenbar sind zusätzlich das auditorische und das motorische System bei Musikern sehr eng miteinander verknüpft.

Du kannst über Deinen Körper, über Deine Spielbewegung eine Vorstellung entwickeln, wie der Klang sein soll.

Die Klavierspieler koordinieren also mindestens zwei Planungsstufen: auf der Ebene des Geistes (Kognition ) und auf der Ebene des Körpers (Motorik): Was, welche Tonfolge, welchen Klang spielen sie? Wie spielen sie die Tonfolge? Wie greifen sie den Klang? Dabei folgt die Bewegung tatsächlich den grammatischen Regeln der Musik. Interessant finde ich dabei, dass in der Studie bei den Pianisten darauf geachtet wurde, nicht von Noten abzuspielen. Denn:

Nicht alle Pianisten können gleich gut Noten lesen.

Diese Erkenntnis, dass eben nicht jeder Pianist gut Noten lesen kann, ist spannend – oder? Von Noten abzuspielen, hätte die Antwort auf Sammlers Frage verwischt: Wenden Klavierspieler beim Spielen genauso die musikalischen Regeln ihres kulturellen Umfelds an wie sie dies beim Musikhören intuitiv tun? Denn durch das Notenlesen hätten weitere Prozesse reingespielt, die schlecht kontrollierbar gewesen wären. Sammler kann ihre Frage mit einem klaren Ja beantworten: Sowohl beim Musikhören als auch beim Musik spielen wendet der Mensch die musikalischen Regeln seines kulturellen Umfelds intuitiv an, die er zuvor verinnerlicht hat.

 

Musik im Sprachzentrum

Märchen erzählen und Klavierspielen haben noch etwas Erstaunliches gemeinsam: Du nutzt für beide Dein Sprachzentrum. Das Zentrum, das Broca-Areal, leistet nämlich noch mehr als Dir das Sprechen zu ermöglichen. Diese Region im Gehirn spielt auch eine Rolle, wenn Du eine Handlung planst. Dabei ist es egal, ob Du einen Satz formulierst, Kaffee kochst oder musizieren willst.  Beim Klavierspielen laufen zwar die Idee und die Handlung, das Was und Wie  getrennt voneinander ab laut Sammler. Denn beide aktivieren im Gehirn unterschiedliche neuronale Netzwerke. Frontal- und Schläfenlappen werden für das Was, die Idee, beansprucht. Für das Wie, die Fingerbewegung, funkt es in motorischen Arealen. Allerdings aktivieren beide, Idee und Handlung, Dein Sprachzentrum, das Broca-Areal. Diese Erkenntnis nährt meinen Gedanken, das Konzept, Sprache zu lernen, auf das Klavierspiel übertragen zu können.

 

Erst die Idee, dann das Spiel am Klavier

Bei den Pianisten stellt die Forschung fest: Das Musizieren startet mit einer musikalische Idee: eine Melodie oder eine Klangfolge spielen. Erst dann verfeinert sich die Planung bis zur konkreten Bewegung der Finger auf der Klaviertastatur. Innerhalb des Broca-Areals ist die Aktivität der Verfeinerung von vor nach hinten messbar – anatomisch betrachtet. Faszinierend! Die Handlungsplanung beim Musizieren verläuft genau so wie bei Alltagshandlungen: Vom Was zum Wie. Von der musikalischen Idee zur Bewegung auf dem Klavier.

 

Oder: Erst die Handlung, dann die Idee

Zuerst eine musikalische Idee zu verfolgen, ist eine Möglichkeit. Die andere ist: Du entwickelst über den Körper, über die Spielbewegung eine Vorstellung, wie der Klang sein soll. Ich lade Dich ein, wie in einer Meditation Dich zu öffnen und dem Geschehen hinzugeben. Dich überraschen zu lassen, was sich zeigt. Starte also ohne musikalische Idee im Kopf. Meine Erfahrungen zeigen: Die Freude an der Spielbewegung ermöglicht Hörerfahrung, formt und verfeinert den Klang in Nuancen. Und danach entsteht eine klare Vorstellung vom Klang. Motorische Ausführungen verstärken ja die musikalische Idee.  Daher: Spüre hin. Was ist da? Wohin zieht ES Dich? In welche Richtung? Zu welcher Taste?  Und frage dann: Wie spiele ich die Taste? Leise, sanft, zart, laut, gestoßen, voll. Die Antwort findest Du im Gefühl, in der Bewegung, in der Handlung. Allein diese Fragen sind wie kleine Forschungsprozesse und Entdeckungsreisen zum eigenen Spiel am Anfang. Das Schöne ist, dass sie die Selbstwirksamkeit, Kreativität und Freude am Lernen stärken. Charakterstärken aus der Positiven Psychologie nach Seligmann und Peterson tragen zu einem gelingendem Leben wesentlich bei.

 

Eine Reise zu Deiner Musik

Märchen werden erzählt. Das Baby hört die Laute, die Sprache, ihren Rhythmus, ihre Melodie. Es beginnt selbst, Töne zu formen, sie nachzumachen und nachzuplappern. Es sammelt Erfahrungen. All das kann beim Klavierspiel lernen angewandt werden. Ich wünsche mir von Herzen eine Kultur des bewussten Musikhörens und des freien Spiels. Wenn Du Dich öffnest für unterschiedliche Stilrichtungen, kannst Du im Hören erspüren, was Dir gefällt. Du kannst erkennen, welche Musik Dir wann gut tut. Spiele aus Freude mit Tönen. Dann entfaltet sich Dein Gefühl für Deine eigene Musiksprache, die individueller Ausdruck Deines Innern ist. So wie Deine eigene Stimme einzigartig ist. Das bedeutet: Spiele, lass geschehen und übe mit Freude, entdecke, wiederhole, variiere, sei neugierig und Du findest Deine Melodie.

Musik ist in uns, schwingt in uns. Wir sammeln Erfahrungen. Musik klingt in unseren Ohren. Die Finger suchen nach Stimmigkeit. Das Herz lenkt. Die Töne verzaubern und führen in eine nicht sichtbare Welt. So wie es auch die Märchen tun. Denk daran: Dein Gehirn ist dafür geschaffen, Musik zu produzieren.

 

Fazit:

Höre viel Musik. Klaviermusik. Verschiedene Stilrichtungen. In unterschiedlichen Situationen. So wie Du früher Märchen gehört und Vorlieben entwickelt hast. Dann trau Dich: Setze einen Finger auf eine Taste und beginne Deine Reise zu Deiner Musik.

Haben diese Erkenntnisse Dich gepackt und Du hast ein Klavier zu Hause? Setz Dich ans Klavier und spiele Deinen ersten Ton.

Du bist Dir dennoch unsicher?
Melde Dich bei mir. Ich begleite Dich auf dem Weg zu Deiner Melodie. Und Du gewinnst Sicherheit.

Du hast kein Klavier zu Hause? Kein Problem.
Buche Dir eine Einzelsession. Erlebe, wie Deine erste ureigene Melodie in Dir aufsteigt, erklingt und Dich verzaubert.